"Textverstehen als argumentativer Diskurs: Ein Plädoyer gegen Krisenrhetorik und drei Vorschläge für eine Rationalisierung der Philologie:
Abstract
In diesem Beitrag erläutern wir, wieso es aktuell keine »Krise des Textverstehens« gibt, die eine erneute Reflexion hermeneutischer Grundlagen erfordern würde. Wir zeigen, dass derartige Diagnosen entweder auf gesellschaftliche Probleme zurückgehen, die den Grundlagen hermeneutischer Theoriebildung äußerlich sind, oder auf irrige Annahmen über einen theoretischen und methodischen Pluralismus innerhalb der Literaturwissenschaften. Statt der Entwicklung einer »neuen Hermeneutik« ist innerhalb der Philologie vielmehr eine verstärkte Rückbesinnung auf den common ground aller Spielarten wissenschaftlicher Textinterpretation angebracht: den auf universalen Rationalitätsprinzipien beruhenden argumentativen Diskurs. Im zweiten Teil des Beitrags führen wir dann anhand von drei exemplarischen Maximen aus, wie sich dieses allgemeine Plädoyer in die Praxis philologischer Hermeneutik integrieren lässt.
In this paper we explain why there is currently no »crisis of the understanding of texts« that would require us to re-examine the foundations of hermeneutics. We show that such diagnoses are either due to social problems external to the theoretical foundations of hermeneutics or to erroneous assumptions about a theoretical and methodological pluralism within literary studies. Instead of developing a »new hermeneutics«, it is therefore in order to focus more on the common ground that all varieties of scholarly textual interpretation share: argumentative discourse based on universal principles of rationality. In the second part of the paper, we then elaborate on the basis of three exemplary maxims how this general idea can be integrated into the practice of philological hermeneutics.